Friedrich Wilhelm Anton Sertürner
Gute Ausbildung trotz enger Verhältnisse
Friedrich Wilhelm Sertürner wurde am 19. Juni 1783 in Neuhaus bei Paderborn als Sohn eines Landmessers und Wegebaumeisters geboren. Trotz der engen Verhältnisse, in denen er aufwuchs, genoß er Schulbildung und zusätzlichen naturwissenschaftlichen Unterricht durch seinen Vater, der 1798 jedoch sehr früh starb.

Die Lehrjahre in Paderborn
Am 1. Oktober 1799 trat Sertürner beim Hofapotheker Franz Anton Cramer Paderborn eine Lehre an, die er nach vier Jahren beendete. Mit dem ruhigen Leben eines Apothekers in kleinstädtischer Idylle wollte sich Friedrich Wilhelm Sertürner nicht zufrieden geben. Schon während seiner Lehrzeit und der folgenden zwei Gehilfenjahre experimentierte er im Laboratorium. Dabei bewegte ihn vor allem die Frage: Wie ist die Wirkung von Arzneipflanzen zu erklären? Die Antwort suchte er vorerst beim Opium zu finden, einer der wichtigsten Arzneien seiner Zeit, deren Anwendung jedoch große Risiken barg: Gleiche Mengen Wirkstoff hatten oft ganz ungleiche Wirkungen. Für diese Erscheinungen hatte man zu Sertürners Lehrzeit noch keine befriedigende Erklärung. Aber die Vermutung lag nahe, daß im Opium in unterschiedlichen Konzentrationen ein Stoff enthalten sei, der die schmerzstillende Wirkung verursacht.

Erste Experimente mit dem Opium
In diesem Sinne hatte auch Sertürner seine Experimente durchgeführt. Bereits zwei Jahre nach Beendigung seiner Ausbildung konnte er darüber an den berühmten Fachgenossen Dr. Johann Bartholomäus Trommsdorf (1770-1837) in zwei Briefen berichten, die dieser - dem damaligen Brauch entsprechend - in seinem “Journal der Pharmacie” veröffentlichte. Sie behandeln die “Säure im Opium”.

Weitere Informationen zur Geschichte des Opiums gibt es hier.

Die Entdeckung des Morphiums
Sertürner hatte im Opiumsaft einen Stoff mit alkalischen Eigenschaften gefunden, in dem er mit Hilfe von Tierversuchen die betäubende Substanz des Opiums erkannte: Ein Hund versank nach der Injektion des gefundenen Stoffes in Schlaf, der jedoch ausblieb, wenn aus dem Opiumextrakt der entsprechende Bestandteil entfernt worden war. Damit hatte der junge Apothekergehilfe - mit bescheidensten Mitteln- eine wissenschaftliche Großtat vollbracht. Nochmals faßte Sertürner seine Beobachtungen zusammen und schickte sie unter dem etwas umständlichen Titel “Darstellung der reinen Mohnsäure (Opiumsäure) nebst einer wissenschaftlichen Untersuchung des Opiums mit vorzüglicher Hinsicht auf einen darin neu entdeckten Stoff” wieder an Trommsdorf, der die Arbeit 1806 in seinem Journal veröffentlichte. In dieser arzneigeschichtlich wichtigen Publikation mit der Schilderung von 57 Versuchen ist die Entdeckung des Morphiums enthalten.

Journal der Pharmacie, Leipzig, 1806; 14: 33-37
Darstellung der reinen Mohnsäure (Opiumsäure) nebst einer Untersuchung des Opiums mit vorzüglicher Hinsicht auf einen darin neu entdeckten Stoff und die dahin gehörigen Bemerkungen. Vom Herrn Sertürner in Paderborn


Umzug nach Einbeck und weitere Forschung am Morphium
Diese Entdeckung stellt Sertürner an den Anfang einer Entwicklung, die für seine Epoche etwa von gleicher Bedeutung war, wie für unsere Zeit die Entdeckung des Penicillins. Sertürner hatte nicht nur - wie viele vor ihm - einen bis dahin unbekannten Pflanzeninhaltsstoff isoliert. Vielmehr hatte er einen Repräsentanten einer völlig neuen Klasse von Verbindungen gefunden. Seine Entdeckung steht damit am Anfang der Alkaloid-Chemie. Sie leitete die gezielte Anwendung einer ganzen Reihe hochwirksamer Arzneimittel ein, die auch heute noch unverändert aktuell in der Therapie verschiedendster Erkrankungen Einsatz finden (z.B. Atropin beim Augenarzt). Sertürners Erkenntnisse fanden allerdings zunächst kaum die ihnen gebührende Beachtung. Bis dahin sollte noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Inzwischen hatte Sertürner die Apotheke in Paderborn verlassen und war im Frühjahr 1806 nach Einbeck gekommen. Hier trat er als Mitarbeiter in die Rats-Apotheke ein, die damals von dem hochbegabten Apotheker Hink verwaltet wurde. Als dann im Jahre 1808 - Einbeck war inzwischen auf Befehl Napoleons dem Königreich Westphalen zugeteilt worden - durch das Patentsteuergesetz die Gewerbefreiheit auch für Apotheken eingeführt wurde, konnte Sertürner 1809 ein Patent zur Errichtung einer zweiten Apotheke in Einbeck erwerben. Bald erwies sich das Gebäude der Patentapotheke, das übrigens 1826 bei einem großen Stadtbrand vernichtet wurde, für seine Zwecke als zu klein und unzureichend, so daß Sertürner im Herbst 1813 ein Haus auf dem Einbecker Marktplatz erwarb, das aber 1832 ebenfalls einem Brand zum Opfer fiel. In Einbeck nahm Sertürner seine Untersuchungen über das Morphium wieder auf. Er berichtete darüber u. a.:

“Um meine früheren Versuche streng zu prüfen, bewog ich drei Personen, von denen keine über 17 Jahre alt war, zugleich mit mir Morphium einzunehmen; gewarnt durch die damaligen Wirkungen, gab ich jedem nur ein halbes Gran in einer halben Drachme Alkohol aufgelöst, und mit einigen Unzen destilliertem Wasser verdünnt. Eine allgemeine Röte, welche sogar in den Augen sichtbar war, überzog das Gesicht, vorzüglich die Wangen, und die Lebenstätigkeit schien im Allgemeinen gesteigert (…) Ohne daß wir den vielleicht schon sehr übeln Erfolg abwarteten, wurde von uns nach einer viertel Stunde noch ein halbes Gran Morphium als grobes Pulver unaufgelöst, mit 10 Tropfen Alkohol und einer halben Unze Wasser verschluckt. Der Erfolg war bei den drei jungen Männern schnell und im höchsten Grade entschieden. Er zeigt sich durch Schmerz in der Magengegend, Ermattung und starke an Ohnmacht grenzende Betäubung. Auch ich hatte dasselbe Schicksal; liegend geriet ich in einen traumartigen Zustand (…) Nach dieser wirklich höchst unangenehmen eigenen Erfahrung zu urteilen, wirkt das Morphium schon in kleinen Gaben als heftiges Gift.”

Sertürner wollte mit der Bestätigung seiner früheren Versuche auch dem Prioritätsstreit begegnen, der um seine Entdeckung entstanden war. Besonders der französische Apotheker Charles Louis Derosne (1780-1846) hatte sich ebenfalls mit dem Opium beschäftigt, doch war ihm nicht die Darstellung reinen Morphiums gelungen. Immerhin sah sich Sertürner durch dessen Veröffentlichung gezwungen, erneut zu seiner Entdeckung Stellung zu nehmen. Er tat das mit seinem berühmten Aufsatz “Über das Morphium”, der 1817 in “Gilberts Annalen der Physik” erschien. Darin nennt Sertürner die schlafmachende Substanz erstmals “Morphium”.

Erste Würdigung seiner Arbeit
Diese Arbeit machte schließlich die wissenschaftliche Welt auf den Einbecker Apotheker aufmerksam und brachte ihm die längst verdiente Anerkennung. Als Erster würdigte der berühmte französische Physiker Gay-Lussac die Bedeutung der Sertürner`schen Entdeckung. In Deutschland aber war es kein Geringerer als Goethe, der Sertürners Leistung erkannte, indem er ihn 1817 zum auswärtigen Mitglied der “Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena”, deren Vorsitzender er war, ernennen ließ. Im gleichen Jahre wurde Sertürner auch die philosophische Doktorwürde der Universität Jena verliehen.

Von der Pflanze zum Fertigarzneimittel
links: Schlafmohnkapsel • Papaver somniferum rechts: Schlafmohn, Blüte • Papaver somniferum
Seit 1817 folgte auf die Entdeckung des Morphiums auch zunehmend seine praktische Anwendung, besonders als es gelang, Morphium in großen Mengen herzustellen.
Innovative Forschung - nicht nur im Bereich der Medizin
Sertürners Schaffen hat sich keineswegs auf diese eine Leistung, die ihm allein schon ein ehrendes und dauerndes Andenken sichert, beschränkt. Vielmehr versuchte er immer wieder, in neue Gefilde der Naturwissenschaften und Technik vorzudringen. So befaßte er sich in Einbeck mit dem Galvanismus und machte die richtige Beobachtung, daß Ätzalkalien die Verbindung eines Metalls mit Sauerstoff darstellen. Intensiv beschäftigte er sich auch mit der Verbesserung von Schußwaffen.

Unruhige Zeiten und Resignation
Bald jedoch verlor Sertürner in Einbeck seine berufliche Existenz. Denn nach dem Sturz der französisch-westphälischen Regierung wurde das an Sertürner verliehene Apothekenrecht von der nachfolgenden hannoverschen Regierung nicht anerkannt. Auch die von Sertürner angestrebte Leitung der Einbecker Rats-Apotheke fand in Hannover nicht die erhoffte Genehmigung. So wurde Sertürner gezwungen, 1817 seinen Beruf vorübergehend aufzugeben. Er blieb zunächst in Einbeck ansässig und widmete sich seinen wissenschaftlichen Arbeiten, als deren Folge in den Jahren 1820 und 1822 die beiden Bände seines großen Werkes “System der chemischen Physik” erschienen, die besonders wegen der Gedankenfülle imponieren. Schließlich konnte Sertürner im Januar 1821 die Ratsapotheke in Hameln pachten.

Das äußere Leben nahm nunmehr den Gang eines vielbeschäftigten Apothekers, zumal er dort auch eine Familie gegründet hatte, aus der sechs Kinder hervorgingen. Innerlich aber kam Sertürner nicht zur Ruhe. Der Gedanke an das von ihm der Menschheit geschenkte Morphium ließ ihn nicht los. Immer wieder verwies er auf die therapeutische Verwendbarkeit, ohne die im Morphium ruhenden Gefahren zu übersehen. Dann befaßte er sich mit der Durchschlagskraft der Geschosse, fand hierfür eine Blei-Antimon-Legierung und konstruierte ein neues Hinterladegewehr. Und schließlich behauptete Sertürner 1831, als die Cholera nach Europa eingeschleppt wurde, daß der Erreger “ein giftiges, belebtes, also sich selbst fortpflanzendes Wesen” sei, ein halbes Jahrhundert vor der Entdeckung des Cholerabakteriums durch Robert Koch.

Als Sertürners Lehre von der Entstehung der Cholera trotz ihrer Richtigkeit wie viele seiner sonstigen Beobachtungen und Feststellungen abgelehnt wurde, verdüsterte sich sein Gemüt immer mehr. Und da die Veröffentlichungen in den Zeitschriften seiner Meinung nach zu wenig Anerkennung fanden, ließ Sertürner in seiner Verbitterung seine Arbeiten als gesonderte Flugblätter erscheinen, nachdem er bereits 1826 eine eigene Zeitschrift, die “Annalen für das Universalsystem der Elemente” gegründet hatte. Doch erreichte er damit das Gegenteil von dem, was er anstrebte. Die Kluft zwischen ihm und seinen Zeitgenossen wurde immer größer, seine Ansichten wurden immer spekulativer, immer unhaltbarer. Zuletzt hatte er den Boden unter den Füßen verloren.

Die letzten Jahre
In seinen letzten Lebensjahren erkrankte Sertürner an einem schweren Gicht-Leiden, das den Unermüdlichen zeitweise zur Untätigkeit zwang und seinem Leben am 20. Februar 1841 ein Ende setzte. Im Alter von 58 Jahren hatte sich sein Leben vollendet. Sein Leichnam wurde von Hameln nach Einbeck überführt, wo er vor den Toren der Stadt in der Bartholomäus-Kapelle beigesetzt wurde. Auf seinem Grabstein stehen die Worte: “Durch die verdienstvolle Entdeckung des Morphiums wirkte er zum Segen vieler kranker Menschen.” Quelle: DAZ

Sertürner Workshop 2020
Termin 2020
fällt aus